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Naturrecht: Ausdruck für eine philosophische oder theologische Begründung von Rechtsgrundsätzen im Gegensatz zu einer menschlichen Setzung des Rechts durch verfassungsmäßige, also demokratisch legitimierte Organe. Siehe auch Recht, Gesetze, Gesellschaft, Geschichte.

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Anmerkung: Die obigen Begriffscharakterisierungen verstehen sich weder als Definitionen noch als erschöpfende Problemdarstellungen. Sie sollen lediglich den Zugang zu den unten angefügten Quellen erleichtern. - Lexikon der Argumente.

 
Autor Begriff Zusammenfassung/Zitate Quellen

Wilhelm von Ockham über Naturrecht - Lexikon der Argumente

Gaus I 346
Naturrecht/Naturgesetz/Ockham/Kilcullen: In seinen politischen Schriften macht Ockham viel Gebrauch von der Theorie des Naturrechts*, die ihren Ursprung in der antiken Philosophie** hatte und von mittelalterlichen Theologen und Juristen wieder aufgegriffen worden war.
Thomas von Aquin: Die Grundidee der Theorie, wie Thomas von Aquin und Ockham sie vertreten, besteht darin, dass der menschliche Geist, indem er die menschliche Erfahrung reflektiert und analysiert, die Wahrheit verschiedener grundlegender moralischer Normen 'sehen' kann, die somit 'selbstverständlich' sind, keines Beweises bedürfen und zu grundlegend sind, um bewiesen werden zu können (Thomas von Aquin, Summa, 1-2, q. 91, a. 3, und q. 94, a. 2).***
Ockham unterscheidet mehrere Arten von Naturgesetzen (1995(1): 286-93), einschließlich der Naturgesetze "auf Vermutung": Unter der Annahme bestimmter kontingenter Tatsachen sieht die natürliche Vernunft intuitiv, dass bestimmte Arten von Handlungen auf dieser Annahme moralisch richtig oder falsch sind. Angesichts der Folgen der Erbsünde haben menschliche Gemeinschaften ein natürliches Recht ****, Regierungs- und Eigentumsinstitutionen zu errichten; angesichts der Errichtung dieser Institutionen haben Einzelpersonen ein natürliches Recht, Eigentum zu erwerben (oder ohne Eigentum zu leben und sich dabei auf die Großzügigkeit derer zu verlassen, die Eigentum haben); angesichts der Tatsache, dass etwas zum Eigentum einer Person geworden ist, haben andere die natürliche Pflicht, das Ding nicht ohne die Erlaubnis dieser Person zu benutzen; und so weiter.
Christentum: Das Recht der christlichen Gemeinschaft, einen ketzerischen Papst abzusetzen und einen Ersatz zu wählen, ist für Ockham ein solches natürliches Recht, das in dieselbe Kategorie fällt wie das Recht jedes "Volkes", einen Tyrannen abzusetzen und ein gerechtes Regime zu errichten.****
Menschen: "Natürliche" Rechte gehören den Menschen als solchen, den Heiden ebenso wie den Christen; daher sind die Befugnisse des Papstes und des Klerus durch die Laienrechte, die das Christentum vorexistieren, limitiert
Gaus I 347
(1992(2): 51-8; nicht nur die natürlichen Rechte, sondern auch die Rechte nach dem positiven Menschenrecht begrenzen die Macht des Papstes).
>Erbsünde/Ockham
, >Naturrecht/Hobbes.

* Dies wurde manchmal als eine Inkonsequenz Ockhams angesehen, in dem Glauben, dass seine nichtpolitischen Schriften eine "göttliche Gebot"-Theorie der Moral fördern. Für eine Ablehnung dieser Interpretation siehe Kilcullen (2001a)(3).

** Sie liegt Aristoteles' Diskussion der Sklaverei zugrunde (Politik, 1.6) und ist in den römischen Gesetzestexten explizit enthalten (z.B. Justinian, Institute, 1.2.2: "Nach dem Naturrecht sind alle Menschen ursprünglich frei geboren"). Cicero brachte die Idee des Naturrechts klar zum Ausdruck, z.B. in der "Republik", Ill.xxii.33 (...).

*** Das Argument im letztgenannten Text soll nicht Naturgesetze beweisen, sondern sie ordnen. Zu Ockham siehe die Zitate in Kilcullen (2001a)(3). (Nach Ockham sind einige Naturgesetze nicht fundamental, sondern abgeleitet; 1995(1): 273-4.) Die Theorie, wie sie von Aquin und Ockham vertreten wird, ist eine Art dessen, was Sidgwick "Intuitionismus" nannte (1930(4), Buch l, Kap. 8, insbesondere 101).

**** Das heißt, ein durch das Naturrecht impliziertes Recht. Der Begriff eines Rechts findet sich nicht im Werk von Thomas von Aquin, aber es war in den Werken anderer mittelalterlicher Juristen und Theologen üblich. Zur Geschichte des Begriffs der Naturrechte siehe Tierney (1997)(5).

***** In Reaktion auf konziliaristische Parallelen zwischen Kirche und politischer Gesellschaft betonte Cajetan, dass die Kirche keine "freie Gemeinschaft" mit der Macht zur Errichtung einer eigenen Regierung sei, sondern den Geboten Christi unterworfen sei (siehe Burns, 1991(6); Burns und Izbicki, 1997(7)). Ockham erkannte auch an, dass die Gebote Christi eine päpstliche Monarchie errichtet hatten, vertrat aber dennoch die Ansicht, dass die christliche Gemeinschaft die Verfassung der Kirche zumindest eine Zeit lang ändern könne, und argumentierte, dass Notwendigkeit und Nützlichkeit sogar Ausnahmen von den Geboten Christi zulassen können (siehe 1995(1): 171-203, insbesondere 181-90). Das Dekret Haec sancta des Konzils von Konstanz kann so interpretiert werden, dass es sich auf eine Situation der Notwendigkeit bezieht.

1. William of Ockham (1995) A Letter to the Friars Minor and Other Writings, Hrsg. Arthur Stephen McGrade, Hrsg. and übers. John Kilcullen. Cambridge: Cambridge University Press.
2. William of Ockham (1992) A Short Discourse on the Tyrannical Government Usurped by Some Who Are Called Highest Pontiffs, Hrsg. Arthur Stephen McGrade, trans. John Kilcullen. Cambridge: Cambridge University Press.
3. Kilcullen, John (2001a) 'Natural law and will in Ockham'. In John Kilcullen and John Scott, übers., William of Ockham, Work of Ninety Days. Lewiston: Mellen, 851-82.
4. Sidgwick, Henry (1930) The Methods of Ethics, 7th Ed. London: Macmillan.
5. Tierney, Brian (1997) The Idea of Natural Rights: Studies on Natural Rights, Natural Law and Chumh Law 1150-1625. Atlanta: Scholars.
6. Burns, J. H. (1991) 'Conciliarism, papalism, and power, 1511-1518'. In Diana Wood, Hrsg., The Church and Sovereignty c. 590—1918: Essays in Honour of Michael Wilks. Oxford: Blackwell for the Ecclesiastical History Society.
7.Burns, J. H. and Thomas M. Izbicki, eds (1997) Conciliarism and Papalism. Cambridge: Cambridge
University Press.

Kilcullen, John 2004. „Medieval Politial Theory“. In: Gaus, Gerald F. & Kukathas, Chandran 2004. Handbook of Political Theory. SAGE Publications

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Zeichenerklärung: Römische Ziffern geben die Quelle an, arabische Ziffern die Seitenzahl. Die entsprechenden Titel sind rechts unter Metadaten angegeben. ((s)…): Kommentar des Einsenders. Übersetzungen: Lexikon der Argumente
Der Hinweis [Begriff/Autor], [Autor1]Vs[Autor2] bzw. [Autor]Vs[Begriff] bzw. "Problem:"/"Lösung", "alt:"/"neu:" und "These:" ist eine Hinzufügung des Lexikons der Argumente.

Gaus I
Gerald F. Gaus
Chandran Kukathas
Handbook of Political Theory London 2004

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